postprandiale Hypoglykämie

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Sog. echte "Postprandiale Hypoglykämien" müssen bei vegetativen (adrenergen) Symptomen in Erwägung gezogen werden, wenn diese Hypoglykämien nach dem Genuß einer standardisierten Testmahlzeit (kohlenhydratreich) unter Laborbedingungen auch tatsächlich innerhalb von 2 - 4 Stunden postprandial nachgewiesen werden können, u.U. im Vergleich zu einer eiweißreichen Testmahlzeit.

Die ursächliche Klärung dieser Konstellationen erfordert Erfahrung im " L e s e n " der Testergebnisse (OGTT, Testmahlzeiten), vor allem ausreichend viele Messpunkte.
Stündliche Abstände, besonders in der Frühphase des OGTT, sind unzureichend.

Die postprandiale Hypoglykämie tritt als "alimentäre Hypoglykämie" typischerweise nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit, die überwiegend rasch resorbierbare Kohlenhydrate enthält, auf.
Sie läßt sich anamnestisch zumeist, aber nicht immer, von der Nüchtern- bzw. Spontan-Hypoglykämie beim Insulinom abgrenzen.

! Gelegentlich kommt es bei Patienten mit  I n s u l i n o m bereits früh ( 3-6 Std. nach Glucosebelastung ) zur Hypoglykämie (in Abhängigkeit vom Insulin-Sekretionstyp des Insulinoms). Die Hypoglykämie kann nicht adaequat gegenreguliert werden, der Hungertest muß abgebrochen werden.

Patienten mit typ. postprandialer Hypoglykämie können Hypoglykämien immer adaequat gegenregulieren und erreichen spontan normale Blutzucker-Werte.

! Ein OGTT sollte bei einem potentiellen Hypoglykämie-Patienten nur unter ärztlicher Überwachung / Präsenz durchgeführt werden !

postprandiale Hypoglykämie und ? "D i a b e t e s" ?

! Ein verbreiteter Irrtum vermutet postprandiale oder Mahlzeiten-assoziierte Hypoglykämien zu häufig als "Vorboten" eines Diabetes mellitus ???

Zwar sind reale Hypoglykämien nach Mahlzeiten durchaus im Frühstadium eines Typ II Diabetes zu finden, diese sind durch verspätete und überschiessende Insulinsekretion nach zuvor früh-postprandial zu hohen, hyperglykämischen BZ-Werten zu finden (sog. Rechts-Verschiebung der Insulinsekretions-Kurve).

Typisch sind das Nebeneinander von erhöhten und erniedrigten Blutzuckerwerten, nicht aber alleinige Hypoglykämien bei zumeist noch normalen HbA1c-Wert.

postprandiale Hypoglykämie und
Non-Insulinoma pankreatogenes Hypoglykämie-Syndrom (NIPHS)

! Eine Herausforderung ist die Einordnung einer postprandialen Hypoglykämie m i t eindeutig neuroglucopenischen Symptomen als Bestandteil des Non-Insulinoma pankreatogenen Hypoglykämie-Syndroms mit Inselzell-Hyperplasie, der wahrscheinlich korrekten Bezeichnung für die sehr seltene Erwachsenen-Nesidioblastose / Inselzell-Hyperplasie.

Mögliche Ursachen postprandialer Hypoglykämien:

  • 1. Vermehrte Insulin-Sekretion , u.U. stimuliert bzw. getriggert über vermehrte Glucagon-like peptide 1 - Sekretion ("early responder")
    - pankreatogene hyperinsulinämische Non-Insulinoma Hypoglykämie , Nesidioblastose -
  • 2. Schnelle Magenentleerung (nach Magenoperationen, partielle Gastrektomie, Billroth-OP), aber auch funktionell bei intestinalen Motilitätsstörungen:

    a. übermäßige Stimulation der Insulin-Sekretion

    b. Stimulation der GLP-1-Sekretion )glucagon-like peptide-1), evtl. auch GIP (gastric insulinotropic polypeptide)

    c. Stimulation intestinaler Hormone ("gastro-entero-pankreatische Achse")

  • 3. Renale Glucosurie
  • 4. Erhöhte Insulin-Sensitivität (Steigerung des nicht-oxidativen Glucose-Metabolismus)
  • 5. Verminderte Insulin-Sensitivität ("Insulinresistenz") mit initial verminderter Insulinantwort, im Verlauf rechtsverschoben erhöhter Insulinantwort (z.B. bei Gewichtsabnahme, "late responder")
  • 6. Verminderte Glucagon-Sekretion / Glucagon-Resistenz (Hyposensitivität des Glucagon-Rezeptors) ?


Von postprandialen Hypoglykämien differentialdiagnostisch abzugrenzen sind:

Adrenerges postprandiales Syndrom - APS

(Normoglykämie)

Beim APS werden trotz normaler Blutzucker-Konzentrationen durch adrenerg-autonome "Gegenregulation" unspezifische Symptome ( Schwitzen, Zittern, Herzklopfen, Ängstlichkeit, Übelkeit ) getriggert. Der erhöhte adrenerge Tonus führt zur beschriebenen Symptomatik und verhindert eine Hypoglykämie gleichzeitig über effektive biochemische Mechanismen ( Adrenalin-Wirkungen; s. "Gluco-Homöostase" ).

Das APS stellt eine ursächlich unklare reaktive und funktionelle Störung des autonomen Nervensystems dar, die nicht als "Hypoglykämie" tituliert werden sollte. Der häufig verwendete Begriff: "Pseudohypogklyämie" oder gar "Non-Hypoglycemia" ist unglücklich und wird den tatsächlich vorhandenen Beschwerden der Patienten keinsfalls gerecht. Überweisungen zu Psychotherapeuten sollten nicht vorschnell in Betracht gezogen werden.

Obwohl der biochemisch definierte Cutoff für Hypoglykämien bzgl. der cerebralen Erfordernisse bei 2.8 mmol/l (50 mg/dl) liegt, wird eine gegenregulatorische Antwort (Adrenalin und Glucagon) durchaus schon bei etwas höheren Blutzuckern getriggert, die > 60 bis 65 mg/dl betragen können (Cutoff 3.1-3.3 mmol/l). Glucagon verursacht keine Symptome, wohl aber Adrenalin.

Dumping - Syndrom

Das Früh-Dumping-Syndrom ( jejunales hyperosmolares Syndrom ) tritt in 10-15% nach resezierenden Magenoperationen auf ( Billroth-OP, Pyloroplastik, Gastroenterostomie ) innerhalb von 30 Minuten auf. Hierbei handelt es sich um orthostatische ( osmotisch durch hochkonzentrierte Kohlenhydrate induzierte ) Kreislaufbeschwerden im Rahmen einer sehr schnellen Magenentleerung. Die Symptomatik ist charakterisiert durch adrenerge Beschwerden, zusätzlich häufig Völle-, Druckgefühl, Übelkeit, Rumoren im Oberbauch, Blutdruckabfall, Tachycardie/Bradycardie.

Kausal beteiligt sind Katecholamine, Serotonin, vasoaktive Kinine; intraluminale Drucksteigerung. Gelegentlich wird in Abhängigkeit von Art und Menge der Kohlenhydratzufuhr sogar eine passagere Hyperglykämie beobachtet.

Das Spät-Dumping-Syndrom ist ein Synonym für typische postprandiale Hypoglykämien beim Patienten mit Zustand nach Magenoperationen.

Es kann natürlich auch ohne vorherige Operation bei Patienten mit Motilitätsstörungen im Bereich von Magenausgang / Duodenum auftreten. Eine Stimulation der Dünndarm-Passagezeit und der Darm-Kontraktionen wird gefördert durch die Sekretion intestinaler Hormone bzw. Peptide (Cholecystokinin - CCK, Gastrin, Motilin, Neurotensin (?), Substance P).

Literatur postprandiale Hypoglykämie / gastrointestinale Peptide:

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Hogan MJ, Service FJ, Sharbrough FW, Gerich JE. Oral glucose tolerance test compared with a mixed meal in the diagnosis of reactive hypoglycemia. Mayo Clin Proc 58:1983, 491-496
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Gastineau CF. Is reactive hypoglycemia a clinical entity. Mayo Clin Proc 58:1983, 545-549
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Lefebvre PJ, Andreani D, Marks V, Creutzfeldt W. Statement on postprandial or reactive hypoglycemia. Diabetes Care 11: 1988, 439
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Brun JF, Fedou C, Mercier J. Postprandial reactive hypoglycemia. Diabetes & Metabolism 26:2000, 337-351
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Schusdziarra V. Gastrointestinale Hormone und Neuropeptide. Verlag Kohlhammer Stuttgart. 1985 (ISBN 3-17-009193-X), 142 S.

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